Polizeieinsätze im Vorfeld der EM 2024
In den letzten Wochen und Monaten häufen sich größere Polizeieinsätze und Auseinandersetzungen mit Fußballfans.
Wir haben bei Vertretern der Sicherheitsbehörden und Fanvertretern einmal nachgefragt.
Im Zuge einer Pressekonferenz vor wenigen Wochen stellte Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht nur seinen Kader für die kommenden Testspiele gegen Frankreich und die Niederlande vor. Es wurden gleichzeitig auch die neuen Trikots der Nationalmannschaft zur Heim-Europameisterschaft 2024 vorgestellt.
Nachdem die letzte EM durch die Corona-Pandemie etwas zeitverzögert im Jahr 2021 stattfand, freuen sich Fußballfans in ganz Europa als nun darauf, den Sommer zu Gast bei Freunden zu erleben. Ganz wie zur Weltmeisterschaft 2006.
Alle Fußballfans?
Vielen davon dürfte in den vergangenen Monaten die Freude, sofern sie denn überhaupt vorhanden war, deutlich geschmälert worden sein.
Häufen sich doch derzeit immer größere Polizeieinsätze, insbesondere gegen die aktiven Fanszenen und Ultras der verschiedenen Vereine. Inklusive Razzien und Hausdurchsuchungen wie man es von Anti-Terror-Einsätzen kennt.
Doch auch „normale“ Fans sind durchaus betroffen.
So gab es im Norden der Bundesrepublik ein paar medienwirksame Großeinsätze:
Bei der Partie FC St. Pauli gegen Hannover 96 im November vergangenen Jahres beispielsweise wurden etliche Fans im Gästeblock durch einen Einsatz der Polizei verletzt. Diese wiederum beklagte ihrerseits verletzte Beamte, nachdem diese von den Hannover-Fans angegriffen worden seien.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends war es noch durchaus üblich, dass die Polizei unter massiven Kräfteansatz die Fanblöcke stürmte um einzelne Straftäter herauszuziehen. Hierbei wurde auch bewusst in Kauf genommen, dass Unbeteiligte zu schaden kommen.
In einem voll besetzten Fanblock gibt es nun mal nicht allzu viele Möglichkeiten zur Flucht.
Die Polizei passte dann ihrerseits die Taktik an und versuchte nun Straftäter zu isolieren und nach dem Spiel festzunehmen oder im Nachgang einer Partie zu ermitteln.
In Hannover lag die Situation anders: Hier wollten Beamte eingreifen, nachdem es wohl zu einer Schlägerei unter den Fans gekommen war. Diese sei allerdings recht bald beendet und die Situation unter Mithilfe anderer Fans bereits gelöst gewesen.
Das anschließende Betreten des Fanblocks durch Teile der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE), unter Zuhilfenahme von Schlagstöcken und Pfefferspray, löste dann die folgenschweren Ausschreitungen aus, so die Fanhilfe Hannover in einer Stellungnahme.
Und die Situation scheint verfahren.
Auf der einen Seite fühlen sich die Fans unter Generalverdacht gestellt.
So wurden 800 Fans des Hamburger Sportvereins auf dem Rückweg eines Auswärtsspiels über Stunden von Polizeikräften festgehalten und kontrolliert. Anlass war ein Aufeinandertreffen verfeindeter Fangruppen des HSV mit Fans von Borussia Dortmund im Mannheimer Bahnhof gut sechs Monate vorher. Von dieser Auseinandersetzung existieren Videoaufnahmen, die zwar vereinzelte Versuche einer Prügelei zeigen. Die Beamten ermittelten, eigenen Aussagen zufolge, 31 Tatverdächtige.
Ob das aber die massenhafte Kontrolle von 800 Personen ein halbes Jahr später rechtfertigt, steht auf einem anderen Blatt.
Die Fanhilfe Nordtribüne und der HSV Supporters Club sprachen daraufhin von einer kritischen Versorgungslage und verurteilten den Einsatz als „willkürlich, unverhältnismäßig und rechtswidrig“.
Die Fronten sind seitdem verhärtet.
Es folgten mehrere Choreografien der HSV Fans, welche sich mit dem Verhältnis mit der Hamburger Polizei auseinandersetzten.
Und dieses ist, gelinde gesagt, zerrüttet.
Auch bei der Frankfurter Eintracht machte ein spektakulärer Polizeieinsatz mit etwa 200 Verletzten von sich reden:
Nach einer Auseinandersetzung im Vorfeld der Partie gegen den VfB Stuttgart zwischen Ordnungsdienst und Fans, kam es zu einer wilden Schlacht im Umlauf des Frankfurter Waldstadions.
Rauchschwaden stiegen auf, die Nordwestkurve war zwischenzeitlich beinahe komplett leer.
Die Polizei nahm via X (früher Twitter) Stellung zu dem Einsatz und brachte das Kunststück fertig, sich mehrfach selber zu widersprechen, was ebenfalls einiges an Kritik in den darauf folgenden Tagen auslösen sollte.
Traditionell sind die aktiven Fans der SGE, unter der Führungsgruppe Ultras Frankfurt 1997, gegen Polizeipräsenz im eigenen Block.
Man setzt auf Selbstregulierung.
Dies scheint in den letzten Jahren auch weitestgehend funktioniert zu haben. Warum dieser Polizeieinsatz so dermaßen eskalierte, bleibt dagegen unklar. Unterm Strich haben sich beide Seiten nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert.
Während es auf Seiten der Polizei Frankfurt bislang keine weiteren Konsequenzen in der Aufarbeitung gab, folgten nun Mitte März Hausdurchsuchungen.
Gegen die insgesamt 42 Beschuldigten wird wegen des Verdachts des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs, des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Die Polizei stellte bei der Razzia Kleidung und Datenträger sicher.
Insgesamt waren mehr als 300 Einsatzkräfte im Einsatz.
Man würde sich derart konsequente Polizeiarbeit sicherlich auch in anderen Bereichen der Kriminalität wünschen.
Wer schon länger zum Fußball fährt, dem kommen diese Geschichten irgendwie bekannt vor.
Schon im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 hatten viele Fans das Gefühl, die Polizei bereite sich intensiv auf das Turnier vor.
Es wurden Taktiken und Maßnahmen erprobt, die Eskalation gesucht um missliebige Personen aus dem Umfeld der Fanszenen mit Stadion- und Stadtverboten zu belegen und klar zu machen, wer das Gewaltmonopol inne hat.
Auf Nachfrage von Blog-O.de verweist ein Sprecher des NRW-Innenministeriums darauf, dass die Polizei NRW auch im Kontext von Fußballeinsätzen differenziert vorgeht. Mit friedlichen Fans trete man in einen kooperativen und kommunikativen Austausch.
Gegen Störer gehe man dagegen entschieden und entschlossen vor.
Das sieht der Dachverband der Fanhilfen jedoch anders.
Erst vor kurzem sahen sich Vertreter des Dachverbandes dazu gezwungen einen offenen Brief zu schreiben, nachdem der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei gegenüber Bundestagsabgeordneten suggerierte, der Dachverband wäre nicht zu Gesprächen bereit.
Dass die Fanvertreter vorab lediglich die konkreten Themen klären und einen neuen Termin zum Gespräch finden wollte, erwähnte der GdP Chef nicht. „Vielsagend“ nennt das der Sprecher des Dachverbandes und macht deutlich, dass Polizeieinsätze wie in dieser Saison durch nichts zu rechtfertigen sind:
„Wenn Pfefferspray gegen ganze Fanblöcke eingesetzt wird oder es sogar zum Schusswaffeneinsatz der Polizei kommt, ist das ein massives polizeiliches Fehlverhalten, was Konsequenzen nach sich ziehen muss. Das hier bislang keinerlei Einsicht durch die politisch verantwortlichen Personen zu erkennen ist, sagt dann auch schon sehr viel aus.“
Seit Saisonbeginn führen die Fanhilfen eine Liste mit Spielen, bei denen es zu überzogenen und teilweise sehr gewalttätigen Polizeieinsätzen gegen Fußballfans gekommen ist.
Hier finden sich inzwischen 22 Partien aus den ersten drei Ligen.
Und wer die Maßnahmen nur gegen Ultras und aktive Fanszenemitglieder verortet, der läge falsch.
Dies zeigen Beispiele wie die oben genannte Kontrolle von 800 HSV Fans, die stundenlang unter desaströsen hygienischen Zuständen ausharren mussten. Oder der Polizeieinsatz hinter Kurve in Braunschweig, bei dem ein Kind schwer verletzt wurde.
„Die Qualität und die Regelmäßigkeit in der die Polizei meint Grundrechte von Fußballfans buchstäblich mit Füßen treten zu können ist das, was in dieser Saison schon besonders zu merken ist. Diese Entwicklung verurteilen wir auf das schärfste.“
Das Bundesland NRW trägt bei der Europameisterschaft 2024 mit insgesamt vier Austragungsorten eine Hauptlast des Turniers. Dementsprechend angespannt ist auch die Lage beim Personal. Es herrschen Urlaubssperren, welche aber dynamisch im Laufe des Turniers angepasst werden kann, sollte ein geringerer Kräfteansatz erforderlich sein als geplant.
Eine konkrete Antwort, warum die polizeilichen Aktivitäten im Zuge der EM an Fahrt aufgenommen zu haben scheinen, erhält man vom NRW Innenministerium nicht. Man werde gegen Störer, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen, konsequent vorgehen , heißt es.
Die Polizei NRW werde im Zuge der Europameisterschaft auch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem europäischen Ausland zusammenarbeiten und bereite sich entsprechend vor. Laut Sprecher des Innenministeriums NRW zählen zu den Maßnahmen „unter anderem präventiv polizeiliche Maßnahmen gegen potenzielle Störer, die in Deutschland, aber auch bereits in den potenziellen Teilnehmerstaaten getroffen werden, damit gewaltbereite Störer gar nicht erst nach Deutschland einreisen können.“
Was das konkret bedeutet lässt er offen.
Die Fanhilfen dagegen vermuten, dass die Polizei den Ligaalltag bewusst zur Vorbereitung und auch Abschreckung nutzt:
„Denn Bilder wie aus Frankfurt oder St. Pauli werden auch außerhalb von Deutschland wahrgenommen. Die Polizei sieht uns Fans somit nicht nur als Spielball an, mit denen man es ja ruhig machen kann, sondern auch als Mittel zum Zweck.
Daher ist die Arbeit von Fanhilfen auch so wichtig, um genau solche völlig aus dem Ruder gelaufenen Entwicklungen aufzuzeigen.“
Ob die Maßnahmen und Taktiken nach der EURO24 wieder zurückgefahren werden, wird dagegen bezweifelt.
Die WM 2006 sei da ein mahnendes Beispiel. „Der Ausbau der Polizeidatenbanken, die dauerhafte Videoüberwachung oder auch die verstärkte Anwendung von Aufenthaltsverboten gegen Fußballfans wurden nach dem Turnier nicht zurückgenommen.
Ganz im Gegenteil.“
Was unter dem Strich bleibt, sind derzeit stark verhärtete Fronten.
Wegen vermeintlicher Kleinigkeiten eskalieren Polizeieinsätze, werden hunderte von Fans stundenlang festgehalten, werde Blöcke gestürmt und dutzende Personen durch Pfefferspray verletzt. Eine Verhältnismäßigkeit sucht man oft vergebens.
Dabei dürfte auch unter den allermeisten Fans durchaus Konsens bestehen, dass die Polizei bei Straftaten einschreiten muss.
Die Frage ist aber auf welchem Wege und ob die totale Eskalation wirklich im Sinne aller Beteiligten ist.
Denn auch die Beamten wollen genauso gesund und unversehrt nach Hause wie die allermeisten Fussballfans, die eben keine Straftäter sind.
Und so bleibt häufig die Vorfreude auf das Sommermärchen getrübt. Die oben angeführten Beispiele zeigen deutlich, dass man kein Mitglied der aktiven Fanszenen sein muss um in den zweifelhaften Genuss einer polizeilichen Großmaßnahme zu kommen.
Es reicht schon aus im selben Zug zu sitzen.
Und nur in aller Deutlichkeit: Auch als Mitglied der aktiven Fanszene oder einer Ultragruppe ist man nicht automatisch Straftäter und muss sich wie ein solcher behandeln lassen.
Die Mittel und Wege des Rechtstaates enden nicht bei der Mitgliedschaft in einer Fangruppe.
Trotz aller negativen Vorzeichen bleibt zu hoffen, dass die Endphase der Saison hier nicht zu noch drastischeren Bildern führen wird.
Gerade die Emotionen im Abstiegskampf und den Relegationsspielen könnten Treibladungen für Eskalationen auf beiden Seiten sein, die wir alle definitiv nicht wollen.