Käufliche Liebe

Käufliche Liebe
Foto: photomafia / https://photomafia-bochum.blogspot.com/

Tennisballhersteller verzeichneten zuletzt einen massiven Anstieg der Produktionsraten.
War der kleine gelbe Filzball doch zu dem Symbol eines Protests der deutschen Fankurven gegen einen Investoreneinstieg bei der DFL geworden.
Wie nun allerorten bekannt geworden sein dürfte, war dieser Protest nicht nur friedlich und kreativ, sondern aus Sicht der Fans auch erfolgreich.
Es wurden undurchsichtige Abstimmungen, zwielichtige Vertragsentwürfe und der heimliche Versuch die 50+1 Regel im Hintergrund zu umgehen angeprangert. Und zwar soweit, dass es bald darauf auch Vereine zum Nachdenken anregte die ursprünglich für den DFL-Investorendeal gestimmt hatten.

Die ganze Diskussion wurde auch im Ausland aufmerksam verfolgt.
So unter anderem auch in Dänemark, wo sich beim Zweitligisten Aalborg BK inzwischen ein Investorenkonsortium mit 20% der Anteile am Club beteiligt.
So weit, so moderner Fußball. Und auch die örtlichen Fans sind sich der Tatsache bewusst, dass teurer Profifußball manchmal auch die Suche nach frischen Geldquellen notwendig macht, will man sich weiter im Profigeschäft halten und entwickeln.
So äußert sich auch die Vereinigung der Aalborg BK Fans „Vesttribunen Aalborg“ auf Instagram, dass die bisherige Zusammenarbeit mit dem Miteigentümer SSE22 (Sport Strategy Excellence 22) „gut und mit gegenseitigem Respekt“ funktioniert habe, man aber über die neuen Töne aus der Firma, an der unter anderem Ex-Profi Thomas Hitzlsperger beteiligt ist, sei.

Was war passiert?
Nicht nur Thomas Hitzsperger ist an SSE22 beteiligt, sondern auch drei Influencer aus der deutschen Youtubeszene.
Zum einen Anton Rinas (ViscaBarca) – der wohl bekannteste deutsche Stadionvlogger auf Youtube, der in der Vergangenheit auch mal durch fragwürdige Videos mit seiner Schwester aufgefallen ist und dem schon öfter Kritik aus den Fankurven entgegengeschwappte.
Zum einen, da Stadionvlogger ungefragt andere Personen und Fanblöcke für ihre kommerziellen Interessen nutzen und man so als Zuschauer auch mal in deren Videos auftauchen kann wenn der entsprechende Influencer in der Nähe gerade filmt.
Zum anderen hat das NDR-Medienmagazin ZAPP recherchiert, dass die DFL die Vermarktung dieser Stadionszenen seitens Influencern mit Millionenreichweite hinnimmt, während man als Otto-Normal-Filmer in der Regel recht schnell aufgefordert wird, die Spielszenen vom Videoportal zu nehmen. Da nimmt es die DFL mit der Rechteverwertung dann ganz genau, während sie sich auf der anderen Seite eine größere Reichweite beim jüngeren Publikum durch Vlogger wie Rinas erhofft.

Als nächstes wäre da dann Maximilian Stemmler zu nennen, den meisten besser bekannt als Trymacs.
Wer regelmäßig populäre Formate auf Youtube schaut, kommt an diesem jungen Mann derzeit kaum vorbei.
Einem größerem Publikum dürfte er mit seiner Beteiligung an dem Survival-Format „7vsWild“ auf Amazon-Freevee und Youtube bekannt geworden sein.
Komplettiert wird das Trio von Sascha Hellinger, alias UnsympathischTV, ein ebenso großer Youtuber, scheinbar ohne weitere Bindung zum Fußball.

Wie es auf Youtube und Instagram so üblich ist, sollte nun auch die Community der drei Neuinvestoren von dem großen Projekt erfahren und wurde bildreich durch eigene Videos in Kenntnis gesetzt.
Führungen durch den Club, das filmen einer Taktikbesprechung und die ein oder andere kindliche Begeisterung darüber, nun an einem Profifußballclub beteiligt zu sein.
Das alleine wäre noch kein Grund zum Aufschrei.
Wären da nicht einige Aussagen gewesen, die in Aalborg gar nicht gut ankamen.
So wurde unter anderem seitens ViscaBarca davon geredet, dass man doch jetzt die Chance hätte „FIFA Manager Modus in Reallife zu spielen“
Trymacs konnte auf Nachfrage in den Videos nicht einmal das Gründungsdatum des Clubs benennen, welches sehr prominent im Wappen zu finden ist.
Ebenso erregte die Aussage ViscaBarcas, dass der Club nun „sein eigener Verein“ sei, die Gemüter der Westtribüne Aalborgs, die diese Annahme des Influencers weit von sich wies.
Der Fußball gehöre den Fans und sicher nicht den Investoren.

Doch ist diese Entwicklung ungewöhnlich?
In Zeiten, in denen altgediente Bundesligaspieler ihre Prominenz mitunter nutzen um, gemeinsam mit weiteren Influencern, eine Art Hallenzauber auf Speed zu etablieren, merkt man die Entfremdung vom eigentlichen Fußballpublikum in den Stadien und insbesondere den aktiven und kritischen Fans immer deutlicher.
Gerade die Proteste gegen den DFL Investorendeal haben gezeigt, dass zwar organisatorisch federführend die aktiven Fanszenen einen Hauptteil des Protests getragen haben – jedoch war es keineswegs so, dass sich damit der Rest des Stadion gegen den Protest aufgelehnt hätte.
Umfrage ergaben eine breitere Zustimmung zu den Protesten als zuerst angenommen. Auch den Fans auf der Haupttribüne geht die immer fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs inzwischen gehörig auf die Nerven.

Dabei wird niemand ernsthaft bestreiten, dass ein gewisses Maß an Vermarktung für einen Profibetrieb essentiell ist.
Ein Ausverkauf der eigenen Werte, Hinterzimmermauscheleien der Clubbosse und Vorstandvorsitzenden möchte aber auch kaum jemand der regelmäßig die Spiele seines Vereins verfolgt.
Die angebliche Fannähe der Bundesliga war immer ein großes Pfund, mit welcher sie wuchern konnte.
Und diese Wichtigkeit wurde auch zu Beginn der Coronapandemie ins Felde geführt, als unter Krokodilstränen der Verantwortlichen von einer neuen Demut gefaselt wurde, damit der Spielbetrieb (und damit der Kapitalfluss) aufrecht erhalten bleiben konnte, während andernorts durch quasi Berufsverbote ganze Branchen einfach plattgemacht wurden.
Von der angesprochenen Demut war dann alsbald nicht mehr allzu viel zu merken, ganz im Gegenteil.
Die Gehälter und Ablösesummen stiegen weiter in ungeahnte Ausmaße.

Und wie hängt das nun zusammen?

Es scheint sich bei jüngeren Fans ein Kulturwandel zu vollziehen.
Angefixt durch bunte Bilder, Reels und Stories von Weltstars wie Ronaldo, Messi und Mbappe´, träumen viele Jugendliche heute eher von Stars selber und nicht unbedingt von den Vereinen in denen sie spielen.
Natürlich spielt hierbei Social Media eine bedeutende Rolle. Alles ist irgendwie Content und soll nach Möglichkeit die eigene Community an einen binden.
Und machen wir uns nichts vor: Hätte es Social Media in diesen Ausmaßen bereits früher gegeben, so wären Beckham und Co vermutlich auch Wegbereiter dieser Entwicklungen geworden. Fanden deren Leben doch teils sehr prominent in den Klatschspalten diverser Promimagazine statt.
In diesen Punkten unterscheiden sich Neymar und die drei von SSE22 gar nicht einmal so großartig voneinander.
Aber es ist auch ein durchaus hausgemachtes Problem: In England sind die Tickets für ein Premier League Spiel für jugendliche Fans nahezu unerschwinglich, sofern sie nicht finanziell starke Eltern haben.
In Deutschland sind viele Stadien nahezu immer ausverkauft bzw. die günstigen Tribünenplätze sind es.
So gibt es die Stars immer öfter nur im TV oder auf der PlayStation wenn der neueste Teil der Fußballreihe den spielerischen Glamour per Controller auf den heimischen Bildschirm zaubert.


Es verwundert daher nicht, dass ViscaBarca, Trymacs und UnsympathischTV geradezu wie Elefanten in einem Porzellanladen den Zorn der dänischen Fans auf sich gezogen haben, mit ihrem unsensiblen Verhalten.
Sie haben keinerlei Ahnung von den Befindlichkeiten der Fans, die vieles auf sich nehmen, um ihren Verein zu unterstützen. Finanziell, zeitlich, sozial.
Sie haben keine Bindung zu den Werten der Leute, die hinter ihrem Verein stehen, ganz egal ob dieser absteigt, Geld gesammelt werden muss oder mal wieder Freiwillige benötigt werden um den Rasen von Schnee zu befreien.
Man kann es ihnen kaum zum Vorwurf machen: Mit ihrer Reichweite und dem Geld sind sie für die Agenturen nichts weiter als laufende Gold- und Reichweiteesel auf zwei Beinen, mit denen man gutes Geld verdienen kann. Da öffnen sich dann flugs die Tore zu den VIP Tribünen und man muss sich nicht in Auswärtsblöcken einpferchen oder von schwer behelmten Polizisten am Bahnhof empfangen lassen.
Von den zahlreichen Kapriolen, die deutsche Fans vor allem bei Europapokalspielen mit der spanischen Polizei erleben mussten, weiß ein ViscaBarca sicher nicht allzu viel.
In seinem Video schreibt er in einem Kommentar darunter, dass er um Fairness bitte und es sich bei Aalborg nicht um einen Saudi Club handeln würde. Man wolle vielmehr die Jugendarbeit und Infrastruktur verbessern und nachhaltig entwickeln.
An sich ein guter Gedanke.
Nur folgt dann der vielsagenste Satz: „Das ist 🇩🇰 und hat nichts mit 🇩🇪 und der aktuellen Debatte zu tun. Ich weiß, das Timing ist nicht optimal, aber so ist das eben jetzt.“
Null Einsicht, null Verständnis und offenbar null Auseinandersetzung mit den „eigenen“ Fans.
Wenn man schon vom „eigenen Club“ redet, sollte man den Anhängern eventuell auch zuhören und deren Sorgen und Bedenken ernst nehmen.
Denn diese sind auch noch da, wenn die Investoren keine Clicks mehr mit den Videos machen und die Lust am Investment verlieren oder sich Konstrukte wie die Baller League, mit ihren Challenges und Galaxy-Minuten und dem Glücksrad doch nicht dauerhaft durchgesetzt haben sollten.

Zwischenzeitlich hat Vesttribunen Aalborg heute bekannt gegeben, dass Gespräche mit der AaB Führung getroffen wurden und die drei deutschen Influencer Trymacs, ViscaBarca und Sascha Hellinger nicht Teil des Vereinsbetriebs sind und auch nicht die Vereinsstrategie prägen.
„Wir haben eine leidenschaftliche Fangemeinde mit großen Gefühlen für den Club. Daher freuen wir uns, dass der Club und die Eigentümer so auf unsere diesbezüglichen Ansichten reagiert haben und das Bild korrigieren, das drei Influencer fälschlicherweise von unserem geliebten Club gezeichnet haben. Fehler passieren. Entscheidend ist die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Jetzt blicken wir nach vorne und der Fokus liegt voll und ganz darauf, die Arbeit auf und neben dem Platz fortzusetzen, um unseren Jedermanns-Club AaB zu unterstützen“, so Christian Rothmann, Vertreter der Vesttribunen.

Fortschritt ist richtig und wichtig. Nur sollte er auch nachhaltig gestaltet werden und die eigenen Wurzeln weder vergessen noch verleugnen.
Der Fan unterscheidet sich nicht nur in der Schreibweise vom Konsumenten.
Und Liebe kann man selten kaufen. Schon gar nicht im Fußball.

UPDATE:

Am vergangenen Wochenende gaben Viscabarca und Trymacs via Youtube bzw. Twitch bekannt, dass sie sich aus dem Investorenprojekt zurückgezogen hätten.
Scheinbar hatten sie mit dem Druck der Fans nicht gerechnet. Nur ein weiteres Indiz dafür, dass weder der eine noch der andere sich auch nur im Ansatz mit Fußballfankultur befasst haben. Sollen sie bei ihrer Baller-League bleiben. Auch dieses Konstrukt wird schnell seinen Reiz verlieren wenn es den Herren Influencern mal zeitlich zu aufwendig werden sollte.

Schreibe einen Kommentar