„Groundhopping – oder: Wenn Erwachsene Männer Stadien sammeln wie andere Leute Teelöffel“

Es ist Samstagmorgen, 6:48 Uhr. Die Sonne schläft noch, der Kaffee ist halb fertig, und irgendwo in NRW steht ein Typ in Funktionsjacke mit einem Ausdruck im Gesicht, als wäre Weihnachten und Weltuntergang gleichzeitig. Sein Ziel: SV Fritzdorf gegen SpVgg Niederunterhausen II, Kreisliga C, Anstoß 10:30 Uhr. Warum? Groundhopping.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Was ist das? Ganz einfach. Groundhopper sind Menschen, die aus freien Stücken – ich betone: freiwillig – durch ganz Deutschland, Europa oder auch Usbekistan reisen, nur um sich ein Fußballspiel anzuschauen. Und nicht etwa Real gegen Barça. Nein, sondern lieber Wanne-Eickel gegen die zweite Mannschaft vom TuS Ennepetal. Weil’s da Currywurst für 2,50 gibt, und das Stadion keine Sitzplätze, sondern Charakter hat.
Ein Groundhopper sieht einen Flutlichtmast und fängt an zu zittern vor Glück. Er hat Stadionnamen im Kopf, die klingen wie Geräusche beim Einschlafen: „Ich war letztes Wochenende in Wörgl, dann ging’s weiter nach Mils, und am Sonntag haben wir noch ein Spiel in Bischofshofen mitgenommen.“ – Das ist kein Urlaubsbericht, das ist der Reiseplan eines Menschen, der emotional gesehen in einem alten Paninialbum wohnt.
Ich habe mal einen getroffen, der hat sich ein ganzes Wochenende frei genommen, um drei Spiele in zwei Ländern zu sehen, und geschlafen hat er dabei in einem Zugabteil mit zwei Rentnern, einem Dackel und einer Tupperdose mit Frikadellen, die offensichtlich schon beim Mauerfall dabei war. Und am Ende sagte er: „War ein geiles Wochenende!“ – Da weiß man: Der meint das ernst. Der ist nicht kaputt. Der ist fertig.
Groundhopping ist wie Pilgern – nur dass der heilige Ort wahlweise ein Kunstrasenplatz mit Maulwurfshügeln ist oder ein Stadion in Belgien mit nur drei Tribünen, weil die vierte vom Abrissbagger „aus Versehen“ erwischt wurde. Die Eintrittskarte kommt nicht per App, sondern als Papierschnipsel mit Stempel und Fettfleck. Und die Stadionwurst ist keine vegane Bioalternative, sondern eine kulinarische Drohung. Aber das ist egal. Denn es geht um den Ground.
Ein echter Hopper schreibt nach dem Spiel nicht: „Tolles Match!“ sondern: „Hübscher Ground, niedrige Bande, leicht überdachte Tribüne mit fünf Reihen. Flutlicht symmetrisch. Pissrinne vorhanden. 6/10.“
Fußball ist da fast Nebensache. Wichtig ist, dass der Boden vibriert, wenn 87 Leute brüllen, weil der Libero vom TuS Herzensfeld beim Einwurf das Bein falsch hebt.
Und was tun Groundhopper nach dem Spiel? Genau: Sie fahren zum nächsten. Weil das Spiel um 15:30 in Tschechien stattfindet, mit einem Umstieg in Dresden, zwei Stunden Fußweg und der realistischen Gefahr, von einem wildgewordenen Linienrichter angeschnauzt zu werden, weil man „zu laut den Ground fotografiert“. Und auch das ist schon passiert. Mehrfach.
Groundhopper sind keine Fußballfans im klassischen Sinn. Sie sind Ethnologen der Tribünenkultur, Feldforscher im Reich der Kreisliga.
Sie tragen Bundesligatrikots, laufen aber durch Gegenden, wo selbst Google Maps die Stirn runzelt.
Und am Ende, nach 1.200 Kilometern, vier Würsten, einem leeren Akku und zwei fast erfrorenen Zehen, sagen sie:
„Geiler Tag. Noch drei Stadien, dann hab ich Liechtenstein komplett.“
Und dann… fahren sie weiter.
Weil es eben nicht nur Fußball ist.
Es ist Therapie mit Pommes.