Letzte Ausfahrt Hoffnung

Es gibt Momente, da sollte man einfach weitertrinken.
Zum Beispiel jetzt.
Aber nein – ich habe beschlossen, mitten im April in die Alkoholabstinenz zu schlittern. Tolle Idee.
Genau zu dem Zeitpunkt, wo in Bochum das Maiabendfest gefeiert wird – ein Stadtfest mit der urkundlichen Erwähnung von 1388 und dem traditionsreichen Brauch, dass wir Bochumer unsere herzliche Abneigung gegenüber Dortmund auf offener Straße zelebrieren.
Wie Rom seinen Ostersonntag.
Okay. Vielleicht eine Nummer kleiner. Ohne Papstmobil. Aber dafür mit mehr Bier und lauterer Musik.
Und dann auch noch diese Saison.
Der VfL Bochum biegt auf die Zielgerade ein wie ein dreibeiniger Esel beim Rodeo.
Vier Spiele noch. Vier Gelegenheiten für Hoffnung, Eskalation oder gepflegte Verzweiflung.
Am Sonntag geht’s los mit Union Berlin.
Union, dieser sympathische Arbeiterclub aus Ost-Berlin, der es geschafft hat, sich vom feiernden Fußballwunder zum jammernden Wutbürgerverein zu mausern.
Täter-Opfer-Umkehr als PR-Strategie.
Jede weitere Silbe über Dirk Zingler und seine verschwörungstheoretischen Einwürfe würde hier nur Donald Trump beschwören. Und den will ich auf gar keinen Fall in meiner Timeline.
Nicht mal auf der Ersatzbank.
Aber nicht nur wegen dem Hinspiel ist die Luft dick.
Nein, der VfL hat es dieses Jahr wieder geschafft, uns alle mitzunehmen auf die emotionale Treppe in den Kohlenkeller.
Planungssicherheit wie bei einer Open-Air-Veranstaltung in Island.
Man stand so kurz davor, den einsamen Negativ-Rekord von Tasmania Berlin einzustellen, dass Tasmania schon mal leise „Verdammt!“ in den Berliner Abendhimmel gehaucht hat.
Zur Erinnerung:
Peter Zeidler durfte auf der Trainerbank freundliche Grußworte verteilen – und ansonsten ungefähr nichts.
Nach Wochen ohne Sieg aber mit jeder Menge Redebedarf wurde dann Markus Feldhoff befördert.
Feldhoff, der das Talent hatte, eine Defensive aufzustellen, die gegen ein leicht angepustetes Laubblatt Probleme bekommen hätte.
Torverhältnis 2:12 in zwei Spielen.
Bochum, du geile Chaosbraut.
Die Ärztekammer Westfalen-Lippe sprach von einem Rekordabsatz an Antidepressiva, und die Fans wünschten sich beim Trainer-Casting zwischendurch einfach kurz die Alien-Invasion herbei. Die Befürchtungen, dass der VfL wieder eine einzigartig „kreative“ Lösung finden könnte, waren groß.
Aber dann: Dieter Hecking.
Ja. Der.
Der alte Fahrlehrer des deutschen Fußballs.
Und siehe da: Stabilität.
Tore. Siege. Glück.
Sogar Dortmund wurde im Heimspiel weggebraten wie ein Discountersteak auf einem 15-Euro-Grill.
Und dann, aus purem Wahnsinn: ein Auswärtssieg bei den Bayern.
In München.
Zum ersten Mal seit 1991.
Normalerweise fährst du da hin, säufst, kriegst sieben Stück eingeschenkt und darfst auf der Rückfahrt den Bus anschieben.
Diesmal: 3:2 für uns.
Leute, das fühlt sich in Bochum an wie fünf Weihnachten und ein Sechser im Lotto zusammen.
Und wer jetzt dachte: Jetzt läuft’s!, der kennt den VfL nicht.
0:4 Niederlage gegen Stuttgart. Chancenlos.
Und Spiele gegen Augsburg und Bremen, die sich anfühlten wie Nachsitzen im Matheunterricht.
Rechenweg super – Ergebnis trotzdem falsch.
Und jetzt?
Endspurt.
Union. Heidenheim. Mainz. St. Pauli.
Und dann vielleicht, ach du heiliger Flutlichtmast, schon wieder Relegation.
Und hier die Aussichten, Freunde:
Heidenheim:
Eine Mannschaft wie ein Sack Schrauben. Unangenehm, rostig, tut weh, wenn du reintrittst. Da musst du Punkte klauen, als ginge es um die letzte Flasche Bier in der Trinkhalle.
Mainz:
Mainz ist wie ein Zahnarztbesuch, bei dem dir vorher einer auf die Hand schlägt.
Hinterhältig. Fies. Und plötzlich tun sie so, als wär’s gar nicht so schlimm.
Da braucht’s dreckige Punkte. Irgendwas, Hauptsache nichts Schönes.
St. Pauli:
Romantik, Hafenluft und ambitionierte Zweitliga-Kicker mit Bundesliga-Attitüde.
Wenn wir da was holen, dann ist das nicht weniger als ein Wunder mit Ansage.
Ein Dreier auf St. Pauli ganz ohne Gefahr, sich einen Tripper einzufangen oder von Spiegel-TV Kameras beim Puffbesuch überrascht zu werden. Man wollte ja „nur mal gucken“ und zack – weg war die EC-Karte. Grüße nach Köln.
Und wenn’s dann zur Relegation kommt – dann stellen wir uns halt wieder hin.
Mit pochendem Herzen, klatschnassen Händen, zitternden Knien.
Weil wir’s halt nicht anders können.
Wie Kettcar schon sang:
„Bereit für das Adrenalin und die Angst. Bereit für die volle Distanz.“
Hilft ja nix.