Letzte Runde an der Castroper – der VfL steigt ab, aber bleibt erhobenen Hauptes

Der Zapfhahn ist zu, das Licht geht an, Birgit die Wirtin winkt mit dem Lappen – der VfL ist (vorerst) raus aus der Bundesliga. Nach vier Jahren ist Schluss, aus, Ende. Wie in der Stammkneipe um halb drei: alle klammern sich noch an den Tresen, wollen nicht wahrhaben, dass es das war. Und dann kommt er, der schlimmste Satz seit Menschengedenken: „Letzte Runde!“
„Letzte Runde“ – das galt am vorletzten Samstag im Ruhrstadion nicht nur für die Bundesliga-Saison, sondern auch für zwei, die Blau und Weiß mit Leben gefüllt haben: Anthony „Toto“ Losilla und Cristian Gamboa. Zwei, die das Herz dieses Klubs waren – nicht unbedingt mit Titeln, aber mit Tacklings, Tränen und Treue. Vier Jahre. Vier Jahre Trotz, Taktik, Tabellenplatz 15. Nicht schön, aber selten langweilig. Und gestern dann das große Finale: das Ruhrstadion verabschiedete sich von der Liga – und von zwei Spielern, die längst zu Straßenlaternen an der Castroper geworden sind: Anthony Losilla und Cristian Gamboa.
Gamboa, der Mann mit mehr Grätschen als Interviews. Toto, der Kapitän der leisen Sorte, der den Rasen kannte wie andere ihre Haustürmatte.
Man zeigte ihre besten Szenen auf der Leinwand. Es wurden viele Zwiebeln geschnitten, sehr viele. Als Gamboa noch mal den Bayern einen reinknallte. Als Toto gegen Fürth traf. Und Dortmund. Und das halbe Ruhrgebiet.
Auch die Mainzer Fans verstanden das. Kein Pfeifen, kein Hohngelächter, sondern stille Anerkennung. Respekt, wie er im BuLi-Lehrbuch stehen sollte.
Die Ostkurve? Zog ein letztes Mal alle Register. Choreo, Fähnchen, ein riesiges Toto-Gesicht aus Pappe. Stadionliebe in ihrer schönsten Form.
Und dann war er da, der bittere Kreis, den nur der Fußball schreiben kann. Die Bundesliga-Reise begann 2021 mit einem Heimspiel gegen Mainz – inklusive Tor des Jahres von Gerrit Holtmann. Und sie endet 2025… mit einem Heimspiel gegen Mainz. Und einem Tor von Holtmann. Zufall? Wahrscheinlich. Aber auch irgendwie ein Gruß des Fußballgotts, der bekanntlich seltsame Pointen liebt.
Das vorerst letzte Bundesligaspiel? Fand am vergangenen Samstag dann in St. Pauli statt. 2:0-Sieg, klassischer VfL-Konterfußball – und eine Atmosphäre, die selbst hartgesottene Kiezkicker zu anerkennendem Nicken brachte. Denn die Blau-Weißen wurden gefeiert – nicht nur von den eigenen Fans, sondern auch mit ehrlichem Applaus von den Rängen der Gegenseite. Ein Abschiedsspiel mit Würde, fast schon mit Festivalcharakter.
Und doch geht es jetzt ans Eingemachte. Hecking und Dufner – das neue Bochumer Duo infernale – stehen vor einer Mammutaufgabe. Der Kader muss auf links gezogen werden, und das nicht nur einmal. Gerrit Holtmann geht, andere dürften folgen. Auf nahezu jeder Position herrscht Handlungsbedarf. Es wird gewerkelt, geschraubt, umgebaut – kurz: Es ist die Hölle los auf dem Trainingsgelände. Telefondrähte laufen heiß in der Geschäftsstelle. Und die lokalen Medien werden jetzt wieder jeden zweiten Tag wildeste Spekulationen als so sicher verkünden mit gewohnten Phrasen wie „es fehlt nur noch die Tinte auf dem Vertrag“. Nur um einen Tag später den gleichen Spieler dann bei der Vertragsunterschrift beim FC Augsburg zu sehen.
Clickbaitjournalismus lebt. Ganz besonders in der Transferperiode.
Als wäre das nicht genug, kündigt sich auch im Maschinenraum des Klubs Großes an. Am 14. Juni bittet der VfL zur außerordentlichen Mitgliederversammlung. Tagesordnungspunkt 1: Wahl des neuen Präsidiums. Zur Wahl stehen zwei Listen: Team Villis – mit Ex-Keeper Andreas Luthe und einem Grönemeyer-Neffen, der sonst lieber in Start-Ups investiert als in Eckbälle. Und Team Bauer – mit Thomas Ernst, dem ehemaligen Manager mit Stallgeruch, und Mirja Dorny, Ex-VfL-Frauenspielerin und BVB-Romantikerin, die ihre Liebe in Gelb und Schwarz auf social media zelebriert. In Bochum? Ein Affront.
Zwei Lager, zwei Richtungen – und keine Lösung, bei der man in der Ostkurve jubelnd auf die Bierbänke springt. Es riecht eher nach Wurstbuden-Koalition als nach Aufbruchsstimmung.
Der VfL hat sich lange gewehrt. Aber man konnte es kommen sehen. Ein Klub wie Bochum spielt seit jeher im Gegenwind: zwischen Mäzen-Spielzeugen, Pseudotradition und Stadion-Disneyland. Das Ruhrstadion ist laut, kantig, ehrlich – aber zu klein für VIP-Logen, zu retro für moderne Investoren-Phantasien. Die Bundesliga der Zukunft? Die braucht kein Herz mehr, sondern Hospitality.
Andere holen sich einen Investor. Bochum hat Lottoscheine. Jede Woche hofft die Ostkurve beim Eurojackpot auf den ganz großen Wurf – damit wenigstens einer mal fünf Richtige für den Kader der kommenden Saison bringt.
Und doch war dieser Abstieg anders. Etwas weiter nördlich bittet man die eigene Mannschaft gerne mal zur Sonderkonditionseinheit rum um die Turnhalle. In Bochum ist das anders. Hier zeigt man: Trotz. Leidenschaft. Haltung. Man wusste, was kommt – und man nahm es wie ein echter Malocher. Mit festem Blick und einem letzten, kräftigen „Trotzdem!“
Was bleibt? Rocky Balboa hätte seine helle Freude gehabt:
„Es geht nicht darum, wie hart du zuschlagen kannst. Es geht darum, wie viele Schläge du einstecken kannst und trotzdem weitermachst.“
Und das hat Bochum getan. Beim 0:2 gegen Mainz war es dann klar: hier geht’s runter. Aber man feierte trotzdem. Den Klub, den Kampf, die Jungs von gestern. Gamboa, Losilla – alle mit Applaus, alle mit Zukunft im Verein.
Dieter Hecking sprach ins Mikrofon. Nicht pathetisch, sondern menschlich. Bochum eben.
Jetzt heißt’s: Wunden lecken, Aufbruch planen. Mit Hecking, Dufner und ganz viel Hoffnung. Der Neuaufbau wird zäh, wie der Weg zur Theke auf der Betriebsfeier. Aber: Das hier ist Bochum. Und wenn’s ein Wort gibt, das wir hier großschreiben, dann ist es: Trotzdem.
Kopf hoch, Schal hoch, DAZN-Abo kündigen. Die zweite Liga ruft. Und Bochum kommt. Wieder. Ganz sicher.