Ein Roadmovie in Beige

Also, man könnte ja meinen, dass es eine ganz rationale Entscheidung ist, an einem Wochenende einfach mal zuhause zu bleiben. Vielleicht ein bisschen Bundesliga gucken, schön auf dem Sofa, mit Jogginghose und der Sicherheit, dass man in maximal drei Minuten am Kühlschrank ist. Aber nein. Manche Menschen – also wir – entscheiden sich stattdessen für eine Auswärtsfahrt mit dem VfL Bochum. Und das ist so ähnlich, wie wenn man sagt: „Hey, ich hab mal wieder richtig Bock auf Magen-Darm. Freiwillig.“
Stellen wir uns das mal bildlich vor: Freitag, 16:30 Uhr. Die Woche war schon lang, der Kaffee schmeckt nach Ungerechtigkeit, und draußen ist das Wetter so richtig „Bochum halt“. Und was tut der normale Mensch? Genau: Er macht Feierabend. Was tut der VfL-Fan? Er packt ein Rucksackbier, eine Zaunfahne und drei trockene Brötchen ein und sagt: „Schatz, ich bin dann mal 700 Kilometer unterwegs, um 90 Minuten lang enttäuscht zu werden. Sag den Kindern, ich liebe sie.“
Wir stehen da, mit Rucksäcken, Fahnen, einer JBL-Box, die seit 2018 dasselbe Lied spielt, und der leisen Hoffnung, dass diesmal vielleicht… also ganz vielleicht… ein Punkt drin ist. Was natürlich Quatsch ist. Aber Fußball lebt ja bekanntlich von Hoffnung, sonst wär’s ja wie Heizung entlüften – notwendig, aber herzlos.
Die Fahrt? Ein Roadmovie in Beige. Sechs Stunden lang brummt der Bus durch das Mittelmaß der Republik, vorbei an Orten, wo selbst Google Maps sagt: „Willste da echt hin?“ Unterwegs wird gegessen, was in Alufolie passt, diskutiert über Taktiken, die nie umgesetzt werden, und gelacht über Geschichten, die so nur unter Menschen entstehen, die sich für einen Verein quälen, der auswärts meistens spielt wie ein melancholischer Akkordeonspieler im Schneeregen.
Die Fahrt ist aber auch das eigentliche Spiel. Schon auf der Hinfahrt diskutiert man hitzig über die Aufstellung, über Gerrit Holtmann, über die letzte Partie gegen Mainz („hätten wir machen müssen“) – und über die immergleichen Fragen: Warum tun wir uns das an? Warum ist das Bier so teuer bei Hannover 96? Und was, in Gottes Namen, ist eigentlich ein Marius Bülter?
Ankunft am Zielort – das Navi sagt „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, aber man fühlt sich selten so. Die Stadt ist oft trostlos, der Gästeparkplatz liegt näher an Tschechien als am Stadion, und der Gästeblock riecht nach Stadionwurst, Tränen und alten Fangesängen. Und trotzdem: Man ist da. Mit den anderen. Man hält zusammen, als sei es das letzte Abendmahl mit Stadionverbot. Man singt, man springt, man hofft. Man friert sich das Gesicht ab, aber das Herz bleibt warm.
Dann: Anstoß. Und wie immer ist man überrascht, wie schnell so ein Spiel eigentlich vorbei sein kann, wenn man 90 Minuten durchgehend innerlich weint. Die erste Halbzeit besteht aus Fehlpässen, die zweite aus Hoffnung, die stirbt. Irgendwann fällt das 0:1, vielleicht auch das 0:2, meistens per Ecke, immer irgendwie verdient. Danach: Frust. Und trotzdem Applaus. Weil man ja weiß, dass sie’s nicht besser können. Und irgendwie… wir halt auch nicht.
Zurück im Bus. Irgendwer pennt auf drei Sitzen. Einer singt noch. Einer kotzt. Die JBL-Box spielt wieder dieses eine Lied. Und mittendrin sitzt man da, mit leerem Blick und vollem Herzen, und fragt sich: „Warum machen wir das?“ Antwort: Weil es sonst keiner macht.
Denn Auswärts mit dem VfL ist keine Reise. Es ist ein Gefühl. Eine Mischung aus Stockholm-Syndrom, Stadionromantik und Ruhrpott-Herzblut. Wir wissen, dass wir verlieren. Wir wissen, dass wir durchgefroren heimkommen. Und wir wissen, dass wir nächsten Freitag wieder fahren.
Weil’s eben nicht um Punkte geht.
Sondern ums Prinzip.