Wiederauferstehung nach 30 Stunden

Am Karfreitag ging es nach England um sich die Spiele Bristol City gegen Leicester City und Bath City gegen Weymouth FC anzusehen. Hier ist unser Reisebericht.
„Was machst du eigentlich an Karfreitag?“ Fabian grinste schelmisch. Mal wieder.
Zwei Wochen später fand ich mich in seinem Auto wieder.
Ohne viel Schlaf nach einem Arbeitstag. Aber immerhin mit einigen Feiertagen im Gepäck und einer Woche Urlaub vor der Brust.
Und natürlich mit zwei interessanten Partien:
Bristol City empfing unsere Freunde aus Leicester im Ashton Gate Stadium.
Und auf dem Rückweg lag noch die Sechstligapartie Bath City gegen Weymouth FC.
Dazu ein beinahe obszön günstiges Angebot der Fährgesellschaft – wer konnte da schon nein sagen?

Zwei Wochen und etliche Abstimmungen zwecks Kartenbuchungen später zogen auch schon die nächtlichen Autobahnlandschaften von insgesamt vier Ländern Kontinentaleuropas an uns vorbei, ehe eine kurze Verschnaufpause am Fähranleger in Dünkirchen für etwas Ruhe sorgte.
Trotz eines, für Landratten ungewohnt, recht amtlichen Seegangs versuchte unsere Reisegruppe den aufgedrehten britischen Schülergruppen auf der Fähre einigermaßen zu entgehen und für anderthalb Stunden etwas Schlaf zu bunkern.
Eine erste Prüfung des Nervenkostüms.
Die weißen Klippen von Dover sorgten dann aber beim Anlegemanöver doch für eine versöhnliche Ankunft auf der britischen Insel.
Das Rückwärts-Einparkmanöver mit diesem Pott war beeindruckend. Viel Platz für Fehler bleiben da nicht, sonst wird es teuer.
Technische Schwierigkeiten führten bereits bei einer der vorher verkehrenden Fähren zu einem Ausfall und bedingten auch eine ungefähr 30 minütige Verspätung bei unserer Ausschiffung.
Dover war an diesem Osterwochenende natürlich auch Ausgangspunkt für viele andere Reisende, die in diesem Falle das Festland aufsuchen wollten. Lange Schlangen morgens um 8 zogen sich durch den ganzen Ort.
Zu unserem Glück waren wir entgegengesetzt unterwegs.

Belustigt nahmen wir einige Zeit später das Hinweisschild auf Windsor Castle, gepaart mit dem Legoland, zur Kenntnis.
Ob König Charles ein großer Klemmbausteinfan ist, konnte aber trotz intensiver Recherchen nicht abschließend geklärt werden. Diesbezüglich steht eine Anfrage beim Palast im Raum.
Wie es so oft auf solchen langen Fahrten passiert, kann man nicht alle Eventualitäten einplanen.
Baustellen, Staus und Osterverkehr ließen bald unseren zeitlichen Puffer dahinschmelzen.
Hektisch erarbeiten Fabian und Navigator Schwelmer immer neue Alternativrouten, mit einem Auge auf die Uhr und dem anderen auf die Straßen gerichtet.
Gut 2 Stunden vor dem ersten Ziel wurde uns dann klar, dass der Anpfiff um 12:30 Uhr sehr wahrscheinlich nicht pünktlich zu erreichen sein würde.
Sowas muss man immer einkalkulieren – gerade an so Feiertagswochenenden kann im Grunde immer was passieren.
Getreu dem Motto „Wir fahren da erstmal hin“, genoss die Sektion Rückbank die vorbeiziehende malerische südenglische Landschaft abseits des Motorways.
Malerisch war Bristol selbst dann nicht mehr unbedingt. Zumindest der Teil, durch den wir fuhren.

Auf Pausen wurde, erwartungsgemäß, verzichtet.
Jedoch forderte der Spezikonsum bei Fabian irgendwann seinen Tribut, so dass während der Parkplatzsuche in Bristol ganz spontan ein Geranienbeet eilige Düngung erfuhr.
Als Lohn winkte einige Meter weiter dann auch ein Parkplatz und ein kurzer, zügiger Marsch zum Eingang folgte.
Wir vernahmen die Anmerkung eines weiblichen Stewards auf unsere späte Ankunft kurz vor Ende der ersten Halbzeit teils schulterzuckend, teils erwidernd mit Hinweis auf Verspätung bei der Fähre und suchten unseren Block bzw. unsere Plätze.
Bei der Buchung online waren leider keine zusammenhängende Plätze möglich, so dass wir zwar im gleichen Block, aber doch relativ verteilt sitzen mussten. Die wenigen Plätze des Gästekontingents überließen wir den Leicester Jungs, so dass wir im Heimbereich Platz nahmen.

Das Stadion präsentierte sich gut gefüllt und modern. Die Sitzabstände bleiben allerdings abartig für jeden, der größer als 1.60 Meter ist.
Das Ashton Gate Stadion wurde 2016 umgebaut – das Ur-Stadion datiert aus dem Jahre 1904. Inzwischen fasst es 27.699 Plätze auf 4 Tribünen.
Ursprünglich war sogar ein kompletter Neubau in Bristol geplant, wurde aber im Zuge rückläufiger Zuschauerzahlen und des nicht erfolgten Aufstiegs in die Premier League wieder verworfen, so dass Bristol City FC weiterhin seine Heimstätte im Ashton Gate hat.

Immerhin hatten wir bis zu dem Zeitpunkt nichts verpasst. Es stand 0:0 und den Eindrücken einiger Heimfans zu Folge war das bis dahin auch nicht unbedingt ein Spiel für Ästheten gewesen.
Von unseren Plätzen konnte man witzigerweise die direkt angrenzende Tribüne mit den Leicester Fans gar nicht sehen. Das war nur weiter unten möglich, wo sich etwa 50 Anhänger der örtlichen Dorfjugend in allerlei Pöbeleien übten.
Ansonsten herrschte über weite Teile vornehme britische Zurückhaltung.
Lediglich ein gewisser Grundpessimismus begleitete die um uns sitzenden Fans, die des öfteren abfällige Kommentare zu den Leistungen ihrer Spieler abgaben. Nur um im nächsten Moment bei einem erfolgreichen Angriff wieder Feuer und Flamme zu sein.
Leicester dagegen war an diesem Freitag Mittag komplett auf Sparflamme. Der Tabellenführer zeigte leider nicht allzu viel ansehnliches.
Bristol ging dann auch einigermaßen verdient in Führung. Sie waren zwar nicht gut, aber durchaus bemühter.
Und plötzlich war auch das Publikum da. Wenn die typisch britischen Schlachtrufe dann aufkamen, wurden sie auch recht schnell recht laut.
Trotz des Ergebnisses machte das Spiel dann doch wieder Laune.
Und Leicester ist ja dieser Tage auch wieder aufgestiegen. Herzlichen Glückwunsch!
Nach Abpfiff mussten wir uns abermals sputen.
Der eng getaktete Zeitplan sah den Besuch der nächsten Partie mit Anpfiff um 15:00 Uhr vor. Inklusive ausparken, Menschenmassen in den engen Straßen Bristols umkurven und finden des richtigen Weges nach Bath.

Die Kleinstadt präsentierte sich dann als in weiten Teilen ebenso wenig malerisch wie ihr großer Nachbar.
Schier endlos wirkende Züge von gleich aussehenden Häusern zogen sich wie ein Lindwurm durch die Stadt.
Das Stadion Twerton Park mit seinen 8840 Plätzen liegt auf einer Anhöhe in einem Wohnviertel und sieht von außen erst einmal aus wie ein Lost Place einer alten Industrieanlage.
Seit 1932 steht das Stadion hier und beheimatet den örtlichen Bath City FC.
Man sieht dem Stadion seine diversen Aus- und Umbauten durchaus an.
Insgesamt 5 Tribünen, allesamt unterschiedlicher Bauart, erwarten den Besucher. Davon rund 1000 Sitzplätze.
Das Stadiongefälle von einer Eckfahne zur nächsten ist zwar öffentlich nicht recherchierbar, sorgte aber bei uns für ein Grinsen, da es schon deutlich uneben dort ist.
Bei unserer Ankunft kurz nach Anpfiff der Partie waren die Tore jedoch schon geschlossen.
Ein sehr freundlicher Mitarbeiter begrüßte uns dann freudestrahlend als Schweizer. Offenbar hatte sich eine Gruppe reisefreudiger Eidgenossen im Vorfeld angekündigt und war ebenso spät dran.
Er freute sich dann dennoch über unseren Besuch, auch wenn es ihn offensichtlich wunderte, was denn die ganzen Kontinentaleuropäer an einem Wochenende zu einem Sechstligaspiel nach Bath zog.

Wir mischten uns unter die Locals auf die nächstgelegene Hintertortribüne, probierten das örtliche Bier und Burger und erfreuten uns bei angenehmen Sonnenschein an dieser Partie.
Meine Frau, auf ihrer ersten Auslandsfußballtour überhaupt, fasste das Erlebnis dann passend zusammen: „Das ist hier alles so ehrlich.“
Dem war nichts hinzuzufügen.
Etwa 2000 Zuschauer erfreuten sich dann auch an dem, durchaus harten aber fairem, Kampf um den Sieg an diesem Spieltag.
Inklusive unterarmtätowiertem Linienrichter, mit Glatze und Bierbauch, der auch aus einem Prospekt über englische Fußballfans aus den 90er Jahren hätte stammen können. Grundsolide.
Zur Halbzeit passierte noch etwas heutzutage eher ungewöhnliches: Große Teile der jeweiligen Anhängerschaft wechselten die Tribünen und stellten sich hinter oder in die Nähe ihres Torhüters, so dass plötzlich recht viele der knapp 200 mitgereisten Auswärtsfans, statt der Einheimischen, um uns herum standen.
Die Fans von Weymouth glänzten dabei mit fortschreitender Spieldauer, wohl auch angefeuert durch das ein oder andere Ale, mit durchgängigem Support und schrien ihr Team dann zum verdienten 1:1 Unentschieden.

Uns erwartete dann noch eine Rückfahrt. Nicht jedoch ohne vorher im örtlichen Supermarkt noch Tee und Plätzchen zu kaufen. Ja, wir sind jetzt in diesem Alter.
Dem recht zweifelhaften Genuss einer, mit Bratensoße und Fleischstückchen gefüllten, Teigtasche folgte die Einsicht, dass Kulinarik auf der Insel oft Glückssache ist. Eigentlich hätte das durch die Schottland Tour letztes Jahr noch in Erinnerung sein müssen. Aber Versuch macht kluch – wie man im Pott sagt.
Und so rollten wir, ohne größeren Zeitdruck wieder zurück nach Dover.
Auf dem Weg dahin tauchte auf einmal zu unser aller Überraschung Stonehenge am Horizont auf.
Hatte man sich diesen Ort irgendwie Umgeben von mythischen Wäldern oder ähnlich vorgestellt: Fehlanzeige. Die recht beeindruckende Gesteinsformation aus der Steinzeit liegt in der Nähe einer Landstraße auf einem Acker.
Nichtsdestotrotz war es sehr beeindruckend, dieses bedeutende Monument und Zeugnis der Menschheitsgeschichte dann auch mal gesehen zu haben. Wenn auch nur kurz.

Der Rest der Fahrt verlief dann weitgehend ruhig. Jedoch verpassten wir, aufgrund des immer noch recht hohen Andrangs am Fähranleger, ganz knapp unsere geplante Rückfahrt um 22 Uhr. Ohne Probleme – und vor allem ohne Aufpreis – wurden wir aber flux auf die nächste Fähre nach Calais umgebucht. Nur etwa 40 Kilometer von Dünkirchen entfernt, dafür eine Stunde eher.
Zur Bespaßung des Bordpersonals fanden sich mehrere britische Schulen auf dem Weg in den Skirulaub nach Österreich an Bord. Emsiges treiben im Duty free Shop und der durchaus fragwürdige Verkauf hochprozentiger Spirituosen an minderjährige englische Schüler waren die Folge. Aber auf „hoher See“ gelten diesbezüglich eventuell andere Regeln. Jedenfalls dürfte die Stimmung in den diversen Reisebussen auf der restlichen Fahrt in die Alpen sicher ausgelassen gewesen sein.
An den Genuß von Alkohol war in unserer Gruppe dann nicht mehr zu denken. Zu anstrengend waren die zurückliegenden Stunden. Und ein großer Dank an unseren Fahrer und seinen treuen Navigator.
Nach gut 30 Stunden Tour und vorangegangenem Arbeitstag kamen wir glücklich und erschöpft wieder in Bochum an.
Auch wenn man älter wird, solche Touren sind noch weitgehend problemlos möglich. Und Spaß macht es ja auch.
Bis es das nächste mal wieder heißt: „Wir fahren da erstmal hin.“